Ausstellung Dichterleben im Mittelalter 2022

Ausstellung „Dichterleben im Mittelalter“

Ausstellung „Dichterleben im Mittelalter“

Mittwoch, 17. April 2019

 

Konzept und Vorgeschichte der Ausstellung
Die Dichtkunst ermöglicht es uns wie kein anderes Medium, über Jahrhunderte hinweg in eine andere Gedankenwelt vorzudringen, immer aufs Neue heraus­zuhören, was dieser sogenannten schönen Literatur an Weltwissen, Werthaltungen und Gefühlen mit ein­geschrieben ist. Manchmal sind es einzelne Sätze, die daraus hervorstechen, weil sie zentrale Lebens­botschaften gleichsam auf den Punkt bringen. Die spannenden Fragen dazu lauten Von welchen konkreten Lebenswelten, Textzusam­men­­hängen und Motivationen sind diese historischen Kurzmitteilungen getragen, und was sagen sie uns noch heute?Um Antworten darauf zu finden, trafen in der Ausstellung „#dichterleben ‒ Mittelalterliche ‚tweets‘ aus der Steiermark“ im Steiermärkischen Landesarchiv zwischen Mai 2016 und Juli 2018 fünf namhafte Schriftsteller aus der mittelalterlichen Steiermark als lebensgroße Figuren aufeinander und erzählten in einer Art Dichterwettstreit ihre ganz persönliche Erfolgs­geschichte: Ulrich von Liechtenstein, Herrand von Wildon, Hugo von Montfort, Bruder Philipp von Seitz und der Mönch Andreas Kurzmann. Passend zum sprachkreativen und zugleich autobiographi­schen Ansatz der Ausstellung, verbindet alle diese Wortkünstler der sprechende Ausstellungs­titel Dichterleben. Durch Buchstaben­schüttelungen dieses Titels konnten als Anagramme ganz individuelle Untertitel gewonnen werden, die – Zufall oder nicht – gut zu jedem der fünf Autoren passen; ihr Wortlaut wird auf der Projektseite http://gams.uni-graz.at/context:lima?mode= dichterleben verraten bzw. zu Bruder Philipp schon hier weiter unten.Die Ausstellung wurde 2015/16 vom Universitätsverein Steirische Literaturpfade des Mittelalters in Zusammen­arbeit mit dem Spark­ling Science Projekt Arbeitskoffer gestaltet und bot vielfältige Möglichkeiten, mit Literatur und Sprache des steirischen Mittelalters in Berührung zu kommen und in die Lebens- und Vorstellungswelt der Dichterper­sön­lich­keiten ein­zutauchen. Im Sommer 2018 war es für die Poeten schließlich an der Zeit, ihre Zelte in der Landeshauptstadt abzubrechen und dort hin zu reisen, wo sie eingeladen waren, ihre literarischen Botschaften weiter zu erzählen: Ulrich von Liechten­stein, Herrand von Wildon und Andreas Kurzmann übersiedelten in die Heimatorte ihrer Litera­tur­pfade nach Unzmarkt-Frauenburg, Wildon bzw. Neuberg an der Mürz, Graf Hugo von Montfort fand Aufnahme in Frohnleiten nicht weit von seiner Pfannburg entfernt, und Bruder Philipp der Kartäuser aus dem slowe­nischen Kloster Seitz/Žiče wanderte ins Stift Admont und damit in die Nähe des dortigen heilkundlichen Literatur­pfades. Über ihre Portale bleiben alle steirischen Autoren weiterhin vir­tuell mit den Followern in Kontakt. Wie sich unsere Dichter im Steiermärkischen Lan­des­archiv über zwei Jahre hinweg erfolgreich präsentiert haben, lässt sich in diesem virtuell archivierten Rundgang hautnah nacherleben: 360 Grad Rundgang durch die Ausstellung im Steiermärkischen Landesarchiv: http://gams.uni-graz.at/lima/dichterleben360

 

Gemäß dem ursprünglichen Konzept bildet in jedem der fünf Ausstellungs­module die sog. Twitter-Nische den Mittelpunkt: Sie lädt zum Verweilen ein, zum Lesen der ausgewählten, unter dem Nischenbogen baumelnden Dichtersprüche und zum Schmökern in der Anthologie „Literarische Verortungen“. Des Weiteren kennzeichnet jedes Modul – so auch das zu Bruder Philipp von Seitz ‒ eine Ich-Seite links und eine Er-Seite rechts: In ersterer spricht der Autor auf 3 Tafeln über sich selbst (unter­stützt vom Ausstellungsleiter), in zweiterer wird auf ebenfalls 3 Tafeln über ihn gesprochen (geleistet von Dr. Gernot Obersteiner, dem Direktor des Steiermärkischen Landesarchivs); ergänzt wird jede der beiden Seiten durch illustrierende Schau­tafeln zum Autor (links) sowie (rechts) zu seiner historischen Lebenswelt. Diese Spiegelung zwischen der Innen- und Außensicht bildet sich auch in den links und rechts von der Nische angebrachten Bannern ab: Auf der linken dichterleben-Seite sind aus dem Haupttext des Autors jene Passagen bzw. Botschaften hervor­gehoben, in denen der Autor etwas über sich selbst aussagt; rechts finden sich (unter dem programma­tischen dichterleben-Anagramm) Sätze aus einem weiteren Textabschnitt hervorgehoben: Sie bezie­hen sich in einer Art Er-Perspektive auf Ereignisse und Figuren aus dem Erzählgebäude.

 

Philipp von Seitz
Über Bruder Philipps Leben ist nur bzw. immerhin dies bekannt: Er war Kartäusermönch und lebte um 1300 in der Kartause Seitz in der Unter­steiermark (heute Žiče in Slowenien). Im Jahr 1316 gründete er mit sechs anderen Seitzer Mönchen die Kartause Mauerbach bei Wien, wo er 1345 oder 1346 verstarb. Seine Herkunft ist nicht gesichert, aber Untersuchungen seiner Reime haben ergeben, dass er vermutlich aus der mittel- oder norddeut­schen Region stammte.Bruder Philipp ist der Verfasser des „Marienlebens“, einer 10.000 Verse starken ‚Biographie‘ der Gottes­mutter. Dieses heraus­ragende Werk ist vermutlich zwischen 1300 und 1316 in Seitz entstanden. Er hat dieses Werk den Rittern des Deutschen Ordens gewidmet, die auch für dessen Verbreitung gesorgt haben. Heute kennen wir noch über 100 Textzeugen des „Marienlebens“, womit es die überlieferungs­reichste Dich­tung des deutschsprachigen Mittelalters ist. Man kann also von einem mittel­alterlichen ‚Bestseller‘ sprechen, zumal neben den rund 100 Handschriften auch spätmittel­alterliche Prosaauflösungen und viele Teilüberlieferungen bekannt sind. Im „Marienleben“ werden Stoffe aus der Bibel, aber auch apokryphe Inhalte wieder­gegeben. Philipp orientiert sich frei an einer lateinischen Vorlage, wobei er die einzelnen Episoden daraus zu einem zusammenhängenden Handlungsverlauf formt. Erzählt wird das gesamte Leben: von Marias Eltern, Joachim und Anna, überMarias Vermählung mit Josef und der Geburt Jesu. Er berichtet von der Flucht der Familie nach Ägypten, der Rückkehr und dem Wirken Jesu bis zu dessen Passion und Auferstehung. Philipp schließt mit Marias Lebenswandel nach der Himmelfahrt ihres Sohnes und ihrem Tod, eigenen Himmel­fahrt sowie ihrer Krönung zur Himmelskönigin. Die dichterische Mis­sion des Kartäuser­mönchs Philipp von Seitz auf sein Dichterleben-Ana­gramm Belichtender zu redu­zieren, mag auf den ersten Blick zu kurz gegriffen wirken. Versteht man jedoch seine bis heute europaweit bekannte, weil in so vielen verstreuten Hand­schriften erhaltene Dich­tung als einen Beitrag zur vielleicht strahlendsten und in all ihrer Bunt­heit reinsten Marien­verehrung, die je verfasst wurde, so hat er tatsächlich auf beson­dere Weise eine Art von über­irdischem Lichtstrahl auf die Welt des Mittelalters geworfen. Im Stift Admont ist er willkommen, da dort jene Handschrift mit Aus­zügen aus seinem umfangreichen „Marien­leben“ auf­bewahrt wird, die schon in der Ausstel­lung im Landesarchiv zu bestaunen war. Außerdem beginnt beim Stift der Literaturpfad zum „Admonter Bartholo­mäus“, und das passt wunder­bar: Während nämlich dieser Pfad rund ums Stift hauptsächlich für das körperliche Wohlergehen zuständig ist, kümmert sich Bruder Philipp im Stift um die literarische Seelsorge.

 

Öffnungszeiten und Ansprechpersonen
Während der Museumssaison oder nach Voranmeldung im Archiv- oder Bibliotheks­bereich des Stiftes: MMag. Prior Maximilian Schiefermüller O.S.B., Mag. Dr. Karin Schamberger MA

 

Ausstellungsleitung
Ao. Univ.-Prof. Dr. Wernfried Hofmeister seitens des Universitäts­vereins „Steirische Literaturpfade des Mittelalters“: https://literaturpfade.uni-graz.at

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